In seiner Kolumne analysiert Sky Experte Dietmar Hamann die Leistungen der deutschen Mannschaften in der Champions League. Der FC Bayern beeindruckt ihn, von Borussia Dortmunds Auftritt in Rom zeigt er sich schockiert. Leipzig und Mönchengladbach traut er viel zu.
TOP 1: Bayerns Konsequenz ist beeindruckend
Die Bayern machen da weiter, wo sie in Lissabon vor zwei Monaten aufgehört haben. Auch wenn Atletico Madrid momentan nicht mehr die schwer zu spielende Truppe ist, die sie mal waren: Die Bayern haben eine Seriosität, eine Konsequenz und einen Willen in ihrem Spiel, das ist einfach beeindruckend. Wenn du so energisch, zweikampf- und laufstark zur Sache gehst, setzt sich irgendwann auch die spielerische Überlegenheit durch. Sie haben im Moment eine Aura der Unbesiegbarkeit.
Der Triumph in der Champions League hat sie beflügelt, davon zehren sie noch und sie machen einen sehr gefestigten Eindruck. Sie haben durch die Neuzugänge jetzt auch genügend hervorragende Optionen auf der Bank.
Lucas Hernandez hat im Augenblick gegenüber Alphonso Davies die Nase vorn. Was Hansi Flick macht, gefällt mir sehr. Er erkennt früh die Entwicklungen in der Mannschaft, trifft dann im Fall von Davies die Entscheidung, dass er drei oder vier Wochen nicht in der Startelf steht. Die Spieler wissen, dass sie mit guten Leistungen sehr gute Chance haben, ihren Platz im Team zu behalten. Das mag für den Außenstehenden eine Kleinigkeit sein, aber in der Mannschaft ist das schon eine große Sache, wenn der beste Spieler der vergangenen Monate auf einmal ein paar Wochen draußen sitzt. Das hält die Spannung hoch.
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Dennoch glaube ich, dass die Bayern irgendwann einen kleineren Durchhänger bekommen werden. Sie haben sieben oder acht Monate durchgespielt, mussten immer trainieren. Auch für den Kopf ist das eine unheimliche Belastung. Wie lange sie das so durchziehen können, weiß ich nicht, aber im Moment könnten sie nicht besser drauf sein.
TOP 2: Dortmunds fehlende Konstanz ist ein riesiges Problem
Was Borussia Dortmund bei Lazio Rom gezeigt hat, ist erschreckend. Am Samstag habe ich gesagt, dass der Sieg in Hoffenheim ein großer Schritt in Bezug auf die Entwicklung der Mannschaft war. Lucien Favre hatte fünf, sechs Stammspieler draußen gelassen, aber es hat funktioniert. Für den Kader ist dieser Konkurrenzkampf unheimlich wichtig. Sie haben konsequent und gut organisiert gespielt und relativ souverän gewonnen.
Umso unerklärlicher war für mich das Spiel am Dienstag in Rom. Ich konnte es nicht fassen, war ein Stück weit schockiert. Mir macht die Dortmunder Entwicklung etwas Sorgen, weil sie unberechenbar geworden sind. Die Reaktionen der Verantwortlichen haben viel ausgesagt. Das Interview mit Lucien Favre hat mir gezeigt, dass er ratlos ist. Der Trainer versteht seine Mannschaft nicht mehr. Für die Dortmunder Leistung gibt es keine Erklärung. Da lasse ich auch nicht gelten, dass Mats Hummels der einzige Innenverteidiger war. Thomas Delaney hat es in Hoffenheim gut gemacht und es waren immer noch genügend hervorragende Spieler wie Reus, Witsel, Sancho oder Haaland auf dem Platz.
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Ich glaube, dass die Unberechenbarkeit im negativen Sinn den BVB-Verantwortlichen große Sorgen bereitet. Wenn wir an die vorletzte Saison zurückdenken, als sie vor Weihnachten sieben Punkte vor den Bayern standen und dann die Liga noch hergegeben haben, dann muss man sich fragen, ob sich die Dortmunder weiterentwickelt haben. Punktuell zeigen sie immer wieder, wozu sie in der Lage sind, aber die fehlende Konstanz ist ein riesiges Problem. Du kannst so keine Titel gewinnen.
Unabhängig vom Ausgang des Spiels gegen Schalke am Samstag: Ich weiß nicht, wie es in Dortmund weitergehen soll. Wenn man sich anschaut, mit welchen Hunger und Willen sich Kimmich bei Bayern gegen Atletico den Ball vor dem 1:0 von Coman erkämpft hat - so einen Einsatz habe ich bei den Dortmundern in Rom nicht gesehen. Ich habe in 90 Minuten nicht ein Tackling gesehen wie das von Kimmich gegen Atletico. Bei Bayern sind alle heiß, bei Dortmund war es in Rom keiner. Das kann nicht sein.
Das Derby auf Schalke ist ein anderer Wettbewerb und ich glaube nicht, dass die Dortmunder Probleme haben werden, sich auf das Spiel am Samstag zu konzentrieren oder einzustellen. Sie spielen gegen einen verwundeten Gegner, der seit 20 Spielen nicht gewonnen hat. Sie müssen den Anspruch haben, dort dominant zu sein und zu gewinnen. Unabhängig vom Ausgang des Spiels bleiben die Fragen, wie es in Dortmund weitergehen soll, bestehen.
TOP 3: Mit Leipzig ist zu rechnen, Gladbach hat gute Chancen
Anders als die Dortmunder machen die Leipziger einen gefestigten Eindruck. Sie haben eine funktionierende Truppe und eine unheimlich gute Zusammengehörigkeit. Das, was ich in Dortmund vermisse, zeigen die Leipziger im Moment.
Dass sie im Final-Turnier in Lissabon Atletico rausgeworfen haben, hat ihnen riesen Selbstvertrauen gegeben. Die Leipziger machen den Eindruck, als wären sie schon seit vielen Jahren in der Champions League dabei. Sie verteilen nach dem Weggang von Timo Werner die Verantwortung auf mehreren Schultern und haben sich eine tolle Ausgangsposition für das Weiterkommen in der Gruppe erarbeitet. Mit ihnen ist in der Champions League und in der Bundesliga schwer zu rechnen.
Ich habe schon vor dem Spiel in Mailand gesagt, dass ich Borussia Mönchengladbach das Weiterkommen zutraue. Ich glaube, es ist wahrscheinlicher, dass vier deutsche Teams weiterkommen als nur zwei. Inter hat eine gute Mannschaft, aber Gladbach auch. Sie haben sich super verkauft. Natürlich war es etwas unglücklich und vielleicht fehlender Erfahrung geschuldet, dass sie noch den späten Ausgleich kassiert haben, aber den Punkt hätte vor dem Spiel jeder genommen.
Ich glaube, dass das Resultat in Madrid (2:3 gegen Donezk, Anm. d. Red.) für Gladbach hervorragend war. Jetzt könnte es eine Konstellation geben, in der du Real nicht schlagen musst, um weiterzukommen. Madrid hat auch in der Liga schon zuhause verloren und spielt am Samstag den Clasico beim FC Barcelona. Es ist ein sehr guter Zeitpunkt, um Real in der Gruppe zu haben. Es ist natürlich ein weiter Weg für Gladbach, aber ich traue es ihnen zu.