Sky Experte Lothar Matthäus kommentiert in seiner Kolumne "So sehe ich das" die Diskussionen über die "One Love"-Binde bei der WM in Katar. Der Rekordnationalspieler richtet den Blick aber auch auf das erste Spiel der deutschen Nationalmannschaft und die mögliche Aufstellung gegen Japan.
Zeichen zu setzen, wie es der DFB und andere Verbände wie mit der "One Love"-Binde wollten, ist wichtig. Man soll seine Meinung haben und frei äußern dürfen, aber ab und zu gibt es Regeln, die vorgegeben sind.
Ich finde es schade, dass wir den Fußball nicht so genießen können, wie wir es gerne wollen. Ich würde mir wünschen, dass wir uns ein bisschen mehr über den Sport unterhalten als in den vergangenen drei Monaten.
Konzentration auf die eigentliche Aufgabe ist nötig
Die Spieler haben ihre Meinung klar gesagt, aber das müssen sie nicht jeden Tag wiederholen. Hansi Flick will sicher auch nicht tagtäglich auf Pressekonferenzen über politische Probleme reden.
Er und seine Mannschaft wollen sich jetzt voll auf Fußball konzentrieren. Das heißt nicht, dass die Spieler nicht darüber nachdenken oder der Trainer keine Meinung dazu hat, aber irgendwann muss man auch seiner eigentlichen Aufgabe nachkommen. Und die ist, erfolgreichen Fußball abzuliefern.
Wer mal selbst Trainer war, der weiß es: Man versucht alle Probleme, die nicht unmittelbar den Fußball betreffen, von der Mannschaft fernzuhalten.
Das ist in der Bundesliga nicht anders. Wenn weniger Probleme auf die Spieler einprasseln, sie in einer gewissen Ruhe arbeiten können, wie zum Beispiel bei Union Berlin oder in Freiburg, dann können sie ohne Druck abliefern. Wenn aber tagtäglich Probleme aufkommen, leidet darunter auch die sportliche Leistung.
Ich hoffe, dass die Spieler diese Dinge ausblenden und ich von der deutschen Mannschaft eine Leistung sehe, wie ich sie von ihr erwarte.
Leidenschaft und Zweikampfstärke gegen Japan gefragt
Im Testspiel im Oman hatte sie noch nicht die mentale Bereitschaft und Körperspannung, die man braucht, um besser zu spielen und einen deutlicheren Sieg einzufahren.
Das wird gegen Japan völlig anders ein. Es wird nicht mehr experimentiert, die Mannschaft wird fokussiert sein und in Bestbesetzung auflaufen. Leidenschaft und Zweikampfstärke werden gefragt sein, um Japan mit einem hohen Gegenpressing zu verunsichern.
Die Japaner sind eine spielerisch gute Mannschaft, sie spielen nicht Kick and Rush, sondern sie haben schnelle und trickreiche Profis in ihren Reihen, die auch in der Bundesliga sehr viel Erfahrung gesammelt haben.
Flick weiß Müllers Qualitäten zu schätzen
Wenn Thomas Müller fit ist, könnten gegen Japan alle sechs Bayern im Mittelfeld und Angriff spielen. Man könnte aber auch Ilkay Gündogan auf der Position von Leon Goretzka im Mittelfeld und vorne Kai Havertz statt Müller, Leroy Sane oder Serge Gnabry in die Anfangsformation einbauen. Einer ist für mich gesetzt, das ist Jamal Musiala.
Müller wäre auch gesetzt, doch er war mehrere Wochen verletzt, ihm fehlt der Spielrhythmus. Ich weiß nicht, welches Vertrauen Flick in ihn hat. Aber Hansi weiß seine Qualitäten zu schätzen, nicht nur wegen seiner fußballerischen Fähigkeiten, sondern auch mit seiner Erfahrung und Präsenz auf dem Platz als verlängerter Arm des Trainers, der Anweisungen gibt, korrigiert und organisiert.
Aber auch wenn sich Hansi nicht für Müller entscheiden sollte, ist dieser gefühlt ein Stammspieler. Flick hat alle Positionen doppelt besetzt und verschiedene Möglichkeiten, die andere Trainer auch gerne hätten.
Kimmich als Dirigent und aggressiver Leader
Eine sehr zentrale Rolle im Spiel der deutschen Mannschaft wird Joshua Kimmich ausfüllen. Er hat auf dem Feld den größten Einfluss auf das deutsche Spiel. Er baut auf, dirigiert, bestimmt den Rhythmus, er ist ein aggressiver Leader, bringt immer seine Leistung und hat den Respekt der gesamten Mannschaft.
Verschiedene Optionen in der Abwehr
In der Innenverteidigung sind Antonio Rüdiger und Niklas Süle für mich ganz klar gesetzt, beide bringen auf ihren Positionen (Rüdiger links, Süle rechts) die meiste Erfahrung mit. Bei den Außenverteidigern kommt es darauf an, ob Flick offensiver oder defensiver spielen will. Will er rechts mit Thilo Kehrer spielen, der für die Restverteidigung immer wichtig war? Wählt man links die sicherere Variante mit Christian Günter für David Raum? Günter ist ein Spieler, der eine gute Balance zwischen Offensive und Defensive hat, Raum ist eher offensiv ausgerichtet. Sollte Kehrer links spielen, könnten rechts Matthias Ginter oder Jonas Hofmann spielen, je nachdem, ob man offensiver oder defensiver agieren will.
Wir können über alles diskutieren, doch die Probleme werden nicht jetzt, nicht morgen und auch nicht im Lauf dieser WM gelöst. Die deutsche Mannschaft ist in Katar, um Fußball zu spielen. Dafür braucht sie hundertprozentige Konzentration, um nicht ähnlich schlecht zu starten wie bei der WM vor vier Jahren beim 0:1 gegen Mexiko.
Mehr zu den Autoren und Autorinnen auf skysport.de
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.
