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Diversity Day: Interview zur Diversität im deutschen Sport

Dr. Birgit Braumüller exklusiv: "Man muss tatsächlich den Fußball loben"

Im Hinblick auf die Diversität im Sport hat sich in den letzten Jahren einiges geändert, befindet Dr. Birgit Braumüller.
Image: Im Hinblick auf die Diversität im Sport hat sich in den letzten Jahren einiges getan, befindet Dr. Birgit Braumüller.  © DPA pa

Dr. Birgit Braumüller lehrt am Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln und spricht im Sky Interview unter anderem über den Status quo der Diversität im deutschen Sport, die Bemühungen des DFB und die Wichtigkeit von LGBTI*-Vorbildern.

skysport.de: Frau Braumüller, was muss sich im Hinblick auf die Diversität im Sport konkret ändern?

Dr. Braumüller: Wir sind noch nicht in einem Sport allgemein angekommen, der wirklich für alle Menschen - ungeachtet des Geschlechts, der kulturellen und sozialen Hintergründe, der Fähigkeiten, des Alters, der sexuellen Orientierung - offen ist. Da müssen wir versuchen, inklusive Strukturen und eine Willkommenskultur zu schaffen, Stereotype abzubauen und einen wirklich diskriminierungsfreien Raum für alle Personen zu etablieren.

skysport.de: In Politik und Kultur gehören homosexuelle Personen schon länger zur Tagesordnung. Wieso tut sich der Männerfußball im Allgemeinen und gerade der deutsche Männerfußball damit so schwer, dass sich noch kein aktiver Profi geoutet hat? Und was hat der Frauenfußball dem Männerfußball in diesen Belangen voraus?

Dr. Braumüller: Ich glaube, aus der Genese des Sports - und vor allem des Fußballs - zeigt sich, dass der Sport immer noch ein sehr männlich dominiertes Feld ist. Merkmale und Eigenschaften, die erfolgversprechend sind, sind traditionell stereotyp-männlich konnotiert. Ehrgeiz, Durchsetzungskraft, auch körperliche Merkmale - das ist alles ein sehr maskulines Feld. Zudem gibt es im Sport und im Fußball eine große körperliche Nähe, beim Torjubel, in Umkleiden etc., die auch zu Unsicherheiten, Ängsten und Ressentiments führen kann. Deshalb wird der Fußball häufig als letzte Domäne der Männlichkeit bezeichnet. All das macht es, glaube ich, schwieriger, weil schwule Männer immer noch mit Feminität verbunden sind. Es werden ihnen sowohl beim Aussehen als auch beim Verhalten eher weibliche Charakteristika zugeschrieben. Damit passen sie ein Stück weniger in den Sport und vor allem in den Fußball.

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Julia Monro, Referentin für geschlechtliche Vielfalt, zum Thema trans* im Sport.

skysport.de: Philipp Lahm hat vor einigen Jahren in einem viel zitierten Interview davon abgeraten, sich als Profi-Fußballer zu outen. Was würden Sie ihm entgegnen?

Dr. Braumüller: Philipp Lahm hat wahrscheinlich bessere Einblicke in den Profifußball, als ich es habe. Ich würde das trotzdem nicht so pauschalisieren. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, nachzuvollziehen, was es für eine Herausforderung für einen schwulen Fußballer oder Sportler ist, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, weil das natürlich etwas sehr Intimes ist. Die Medien wollen jetzt unbedingt den ersten schwulen Fußballer haben, um darüber auch berichten zu können. Trotzdem würde ich entgegnen, wenn jemand so weit ist und damit rausgehen will, würde ich das auf jeden Fall anraten. Aber das sind sehr persönliche Entscheidungen, bei denen man nicht pauschal sagen kann: "Mach's oder mach's nicht".

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Leon im Interview, der nach seiner Geschlechtsangleichung ins Männer-Team seines Heimatvereins wechselte.

skysport.de: Wie wichtig wären denn LGBTI*-Vorbilder im Sport für einen Zugewinn an Diversität?

Dr. Braumüller: Unschätzbar wichtig. Wir haben eine Studie durchgeführt , "Outsport", in der wir LGBTI*-Personen gefragt haben, was sie sich wünschen würden im Kampf gegen Homo- und Transfeindlichkeit. An erster Stelle wurden Vorbilder aus dem Profisport genannt. Das heißt: Für uns als Gesellschaft, als Sportler und Sportlerinnen wäre das total wichtig. Man muss trotzdem die persönliche Ebene von Einzelnen sehen und wahrnehmen, dass das einfach herausfordernd ist. Aber generell wäre es ein Schritt in die richtige Richtung, weil es Sensibilisierung schaffen und für Sichtbarkeit sorgen würde.

skysport.de: Aktionen gegen Homofeindlichkeit und für mehr Diversität werden zwar mehr, Initiativen wie die One-Love-Binde zeigen aber: Wenn es ernst wird, bleiben Konsequenz aus. Gehen die Diversitätsbemühungen des deutschen Sports überhaupt über Lippenbekenntnisse hinaus?

Dr. Braumüller: Es ist auf jeden Fall eine schwierige Situation. Auf der einen Seite muss man den vielen Sportorganisationen zugutehalten, dass sie etwas machen und dass sie versuchen, für das Thema zu sensibilisieren. Auf der anderen Seite ist es genau so, wie Sie sagen: Wenn man wirklich Haltung zeigen und auch gegen Kritik ankämpfen müsste, dann wird oft zurückgerudert. Sehr häufig kommt dann die Platitude "Sport ist nicht politisch", was - wie wir wissen - nicht unbedingt der Fall ist. Ein bisschen mehr Vehemenz bei der Durchsetzung einer offenen Haltung wäre auf jeden Fall zu wünschen.

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Schiedsrichter gegen Diskriminierung: kein Platz für Hass, Hetze und Gewalt.

skysport.de: Bei den Einschaltquoten der Fußball-EM der Frauen gab es 2022 in Deutschland einen Zuschauerrekord. Nun will der öffentlich-rechtliche Rundfunk laut "Kicker" lediglich fünf Millionen für die Rechte der WM zahlen. Trotz gesamtgesellschaftlicher Entwicklung wird der Eindruck erweckt, dass der Wandel noch nicht bei allen angekommen zu sein scheint. Wie soll sich das ändern?

Dr. Braumüller: Da sprechen Sie eine Wurzel des Problems für die LGBTI*-Community an, weil ganz viel von diesen Vorurteilen und Stereotypen immer noch in sehr traditionellen Rollenbildern liegt. Da sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Medien gefordert, Sportler und Sportlerinnen zu gleichen Teilen in den Medien zu repräsentieren - oder zumindest entsprechend ihrer Teilnehmer:innenzahl bei großen Wettbewerben. Da müsste es meines Erachtens nach stärkere Vorgaben geben, vor allem für Öffentlich-Rechtliche, dass über Männer- und Frauensport angemessen berichtet wird.

skysport.de: Wie wird der Sport im Hinblick auf die Diversität in zehn Jahren aufgestellt sein?

Dr. Braumüller: Wünschen würde ich mir, dass wir nicht mehr darüber sprechen müssen. Sondern dass der Sport so weit ist, dass er wirklich offen ist für alle Menschen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das in zehn Jahren geschafft haben werden, man merkt in den letzten Jahren aber auf jeden Fall eine positive Entwicklung. Es wird darüber gesprochen, es gibt Initiativen und Bemühungen - auch vom organisierten Sport - das umzusetzen. Der Profisport tut sich da manchmal ein bisschen schwerer. Ich würde sagen, wir sind auf einem guten Weg, aber es braucht vielleicht ein bisschen mehr Vehemenz in der Umsetzung. Gerade Geschlechterstereotype und Erwartungen an Sportlerinnen und Sportler sind tief verankerte kulturelle Normen, und da braucht Wandel ein Stück weit auch Zeit.

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skysport.de: Was gibt Ihnen aktuell Hoffnung, dass der Sport auf einem guten Weg ist?

Dr. Braumüller: Mit Blick auf Deutschland muss man tatsächlich den Fußball loben. Der Fußball hat ein inklusives Spielrecht - auch für Trans-Athlet:innen und nicht-binäre Personen - geschaffen. Es gibt eine Anlauf- und Kompetenzstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Da passiert etwas, das gibt mir schon Hoffnung. Und ich habe auch das Gefühl, dass das Thema in der breiten Öffentlichkeit ein Stück weit angekommen ist. Dass es gerade im Sport wichtig ist, genauer hinzugucken. Ich arbeite an der Sporthochschule in Köln mit jungen, sportbegeisterten Menschen und da ist sehr viel Offenheit, Toleranz und Verständnis da. Wenn sich die Leute dies beibehalten und diese Werte weiter in den organisierten Sport tragen, dann sehe ich Hoffnung, dass wir auf einem guten Weg sind und dass sich etwas ändert.

Das Interview führte: Sven Fröhlich

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