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WM 2022: Kolumne über Messi, WM-Titel, Bisht, Infantino, Katar

Fußball-Wochen aus Absurdistan

Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "OHA, KATAR" auf die WM im Wüstenstaat zurück - und schildert seine ganz persönlichen Eindrücke.

Diese Pointe war genial. Sozusagen aus der Loriot-Abteilung. Herr Hallmackenreuter - in diesem Fall gespielt von Gianni Infantino - flankiert von Herrn Moosbach (Hamad bin Khalifa) nötigen einen irritierten Überrumpelten in ein sonderbares Gewand und quatschen ihn mit unverständlichen Fachbegriffen so lange zu, bis er es für eine absolute Selbstverständlichkeit hält, im transparenten Negligée den größten Moment seiner Sportler-Karriere mit der ganzen Welt zu teilen.

Chapeau, Katar - das macht euch keiner nach!

Nach vier Wochen, in denen es dem mutmaßlichen Schurkenstaat und dessen Helfershelfern auf beachtliche Weise gelungen war, die eigenen Missetaten zu verwässern, den Fokus nach und nach wegzulenken von mittelalterlichen Moralvorstellungen und Gesetzen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, war am Ende der Veranstaltung dann doch wieder alles klar.

Katar ging es nur um PR in eigener Sache

Der vielleicht größte Spieler aller Zeiten wird den WM-Pokal bis in alle Ewigkeit in einem "Bischt" in den Nachthimmel von Doha stemmen. Das Albiceleste-Trikot mit der 10, in dem Mario Kempes 1978 und Diego Maradona 1986 die beiden Vorgänger-Titel der Argentinier feierten, wird auf den Foto-Dokumenten von 2022 immer nur zu erahnen sein.

Lionel Messi
Image: Lionel Messi  © Imago

Das Protokoll der Emire entlarvte die katarische Charade endgültig und unwiderruflich. Bei diesem Turnier ging es zu einhundert Prozent um PR in eigener Sache. Und der bedauernswerte Lionel Messi wurde dabei zum unfreiwilligen Handlanger.

Kopfschütteln im Speedmetal-Moshing-Rhythmus

Sie mögen es skurril und fremdschamlastig? Dann sind Sie zum Beispiel bei "Weihnachten bei Familie Hoppenstedt" ziemlich gut aufgehoben. Sie brauchen härteren Stoff? Kein Problem: Lassen Sie einfach die Fußball-Wochen aus Absurdistan nochmal Revue passieren.

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Den Startschuss zu einem kunterbunten Reigen der Eigenartigkeiten setzte - natürlich - Dr. Seltsam höchstpersönlich. In der putzigen Annahme, irgendwer wäre daran interessiert, wie Infantino sich fühlt, drehte der machtbewusste Wahl-Katarer den weltweiten Kopfschüttel-Takt in Rekordzeit auf Speedmetal-Moshing-Rhythmus.

"Today I feel…" - ja ja…blabla. Oha, Katar!

Und Respekt, dass die Intendanten des gagaesken Geschehens offenbar von Beginn an beschlossen hatten, sich an Loriots Meisterwerken zu orientieren - mit dem multiplen Charakterdarsteller Infantino in allerfeinster Method-acting-Laune. Die denkwürdige Dichter-Lesung von Lothar Frohwein hatte ja einen ähnlichen Grad an Verwunderung im Auditorium heraufbeschworen wie Funny Giannis sonderbarer Seelen-Strip. Krawehl! Krawehl!

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Der Kommentar von Sky UK Reporterin Melissa Reddy zu Gianni Infantino geht viral.

Wie Dr. Klöbner und Herr Müller Lüdenscheid

Wie die Debatte um die Binde tatsächlich abgelaufen ist, lässt sich derweil nicht verlässlich rekonstruieren - aber erahnen: Herr Doktor Klöbner (Bernd Neuendorf) und Herr Müller Lüdenscheid (Infantino) - offenbar ermüdet von der quälenden Auseinandersetzung darüber, ob die Ente nun zu Wasser gelassen werden darf oder nicht, inszenierten kurzerhand den lange und mit Spannung erwarteten zweiten Teil von "Zwei Herren im Bad". One love, Regenbogen - Basta-Gianni wies dem aufsässigen deutschen Bedenkenträger schließlich rüde seinen Platz zu.

"Ich bin Ihnen in meiner Wanne keine Rechenschaft schuldig!" Rumms - und Ruhe im Karton. "Wenn Sie die Ente hereinlassen, lasse ich das Wasser heraus." Verzweifelter letzter Versuch von Doktor Klöbner: "Das sind wohl die Erpressermethoden Ihrer Gangster-Firma!" Die Ente blieb draußen. Und die Binde in der Kabine.

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Das Bild hing schief - von Anfang an. Die Bemühungen der Organisatoren um Begradigung waren bemerkenswert. Homosexualität - ein Schaden im Gehirn. Ist doch klar. Verunglückte Arbeiter - der Tod gehört halt zum Leben dazu. Also, wer jetzt immer noch nicht überzeugt davon ist, dass die Verantwortlichen der Winter-WM im Auftrag der guten Sache unterwegs sind, der sollte lieber gleich nach Wuppertal ziehen und mit dem Papst eine Herren-Boutique eröffnen.

Ronaldos letzter Auftritt auf der Weltbühne - eine Farce

Das Turnier nach Katar zu vergeben war vom Grundgedanken ungefähr so sinnvoll, wie einem ausgewiesenen Kulturbanausen im schlecht sitzenden Anzug via Preisausschreiben einen Abend lang ins Opernhaus zu zwingen. Voraussetzungen, die zwangsläufig zu entwürdigenden Situationen führen müssen.

Cristiano Ronaldos letzter Auftritt auf der Weltbühne - nicht in Maracana, nicht in Old Trafford, nicht im Bernabeu. Als Schauplatz für den traurigen Abgang des portugiesischen Nationalhelden a.D. diente das "Al-Thumama-Stadium".

Die Hoffnung, dass Neymar noch einen weiteren Anlauf unternimmt, die eigene Karriere mit dem Sahnehäubchen zu versehen, ist ja offenbar auch eher trübe. Der Abgang einiger ganz Großer - in die Wüste geschickt und dort schmucklos versandet.

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Großartiges Finale - leider am falschen Ort

Dass die WM 2022 mit dem höchstklassigen Finale der vergangenen 40 Jahre (soweit kann ich es beurteilen), möglicherweise sogar mit dem besten Endspiel in der WM-Geschichte beschlossen wurde, ist wohl auch nur mit dem grotesken Humor der Fußballgötter zu erklären. Danke, Argentinien und Frankreich, für ein grandioses Spektakel! Aber musste das denn ausgerechnet in Doha passieren? Rom, Paris, Berlin oder Rio de Janeiro hätten im Zusammenhang mit dem Emblem "Bestes Finale der Geschichte" eine stimmigere Kombination in den Geschichtsbüchern ergeben.

Der Vorhang ist gefallen - nach etlichen Akten, die für viel Fassungslosigkeit gesorgt haben. Die alberne Standard-Parole, die Vergabe des Turniers in ein solches Land könne ja womöglich zu nachhaltigen Reformimpulsen führen, hat dann im Verlauf der Veranstaltung dankenswerterweise niemand mehr ernsthaft vertreten.

Fakten zum WM-Finale 2022

  • Datum: 18.12.2022
  • Uhrzeit: 16:00 Uhr
  • Ort: Lusail Iconic Stadium (80.000 Zuschauer) in Katar
  • Ticket-Kosten: Zwischen 532 und 1.417 Euro
  • Preisgeld Weltmeister: 42 Mio. USD (ca. 40,6 Mio. Euro)
  • Letztes WM-Finale 2018: Frankreich – Kroatien 4:2
  • Finale 2014: Deutschland – Argentinien 1:0 n.V.

Nationalmannschaft im "Adler Sturzflug"

Die Werbe-Wochen für den Wüstenstaat haben dem Ausrichter vermutlich ziemlich gut getan - dem Fußballsport hingegen ganz sicher nicht. Vor allem aus deutscher Sicht. Dem "Adler Sturzflug" kann man wohl nur mit einer anständigen Portion Trotz begegnen: "Eins kann mir keiner nehmen - und das ist die pure Lust am Leben." Die Lust an diesem Sport hat hingegen schon spürbaren Schaden genommen - bei mir zumindest.

Es wird Zeit, dass die 1. und 2. Bundesliga wieder die Deutungshoheit übernehmen! Okay, mit der ultimativen Titelkampfspannung könnte es eventuell Probleme geben. Aber es gibt Hoffnung: Wenn Ende Mai die Meisterschale übergeben wird, spricht einiges dafür, dass der zuständige Kapitän des künftigen Titelträgers die Trophäe im Trikot seines Vereins entgegennehmen darf - aber wer weiß: Vielleicht hat die "Bischt"-Idee ja auch einen Standard gesetzt, dessen Wert wir bislang einfach noch nicht vollumfänglich erfasst haben. Man soll ja immer offen bleiben für neue Ideen - Respekt und Toleranz können eben auch mal mühsam sein!

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