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Juventus Turin hat sich endlich wieder gefangen

Die alte Dame ist zurück

Symbolbild für Juves aktuellen Aufwind: Dusan Vlahovic und Federico Chiesa beim Jubel.
Image: Symbolbild für Juves aktuellen Aufwind: Dusan Vlahovic und Federico Chiesa beim Jubel.  © Imago

Trotz zahlreicher explosiver Nebenschauplätze ist Juve in dieser Saison auf dem Rasen unerwartet stabil unterwegs. "Endlich" wird man im Piemont sagen. Die drei vergangenen Jahre waren für Turin ein einziges Auf und Ab. Hat sich die alte Dame gefangen?

Der norditalienische Oktober zeigte sich an diesem Mittwoch vor etwas mehr als einem Jahr von seiner goldensten Seite. Die Sonne schien von morgens bis abends um die Wette. Zur Mittagszeit flanierten Scharen von Menschen in luftiger Kleidung über die malerische Piazza Vittorio Veneto.

Auch ich war unterwegs. Ich ging in ein Cafe, das brechend voll war. Man begrüßte mich überschwänglich, als ich durch die Tür trat. Aus Lautsprechern in der Ecke des Raumes ertönte "Ti Amo" von Umberto Tozzi.

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Vor mir an der Theke bestellte eine Frau einen Espresso. Mein Blick verharrte auf ihrem weiß-schwarz-gestreiften Oberteil. Ich sah die Ziffer zehn auf ihrem Rücken und acht magische Buchstaben in goldener Schrift: "DEL PIERO". Es war Spieltag in Turin. Juventus sollte am Abend auf Bologna treffen.

Krisenstimmung in Turin

Wieder raus aus dem Cafe und beschwingt von der vorfreudigen Hochstimmung der Anhänger der alten Dame organisierte ich mir noch ein Ticket für die Partie. Gegen 18 Uhr stieg ich in einen Bus Richtung stadtauswärts. Seit 2011 thront das moderne Juventus Stadium hier im Nordwesten von Turin am Fuß der Alpen herrschaftlich auf einem Hügel.

Das Juventus Stadium in Nordwesten von Turin.
Image: Das Juventus Stadium in Nordwesten von Turin.  © Imago

Als ich ankam, verschwand das letzte Tageslicht gerade hinter den nahen Bergketten. Ich hörte, wie zwei ältere Herren vor mir gehend über ihren Herzensklub schimpften. Das große Juve, wie es von 2012 bis 2019 ganz Italien dominierte und neunmal (!) in Serie Meister wurde, sei einfach nicht mehr das alte.

Und tatsächlich: Die Bianconeri waren nach zwei ernüchternden Vorsaisons (zweimal Rang vier) auch strauchelnd in diese neue Spielzeit 2022/23 gestartet. Rang acht in der Tabelle nach sieben Partien, viel zu wenig für den verwöhnten italienischen Rekordmeister. Die Stimmung auf und neben dem Platz war am Boden, den Anhängern fehlte schlichtweg die Perspektive in ihrem Verein.

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Neuer Tiefpunkt

Doch die allgemeine Krise der alten Dame tat der unmittelbaren Euphorie vor diesem achten Spieltag keinen Abbruch. Ich suchte meinen Platz auf der Tribüne. Kurz vor Anpfiff spürte ich plötzlich einen fremden Arm auf meiner Schulter. Eine Melodie schallte über die Ränge, alle stimmten zusammen ein: "Weiß umarmt Schwarz. Ein Chor, der sich nur für dich erhebt. Juve… Storia di un grande amore!"

Turin kam gut in die Partie, startete druckvoll und belohnte sich in der 24. Minute nach einem blitzschnellen Konter in Person von Filip Kostic mit der Führung. Von Bologna kam an diesem Abend so gut wie keine Gegenwehr. Torjäger Dusan Vlahovic legte in der 60. Minute nach, ehe Sturmpartner Arkadiusz Milik nur zwei Minuten später mit einem Traumtor alles klarmachte. Ein hochverdientes 3:0 für Juve, der vermeintlich erlösende dritte Saisonsieg.

Doch es war nur ein bescheidener Hoffnungsschimmer an diesem Oktoberabend vor mehr als einem Jahr. Das seit zwei Saisons anhaltende, ständige Auf und Ab von Juve ging auch über den Rest dieser vergangenen Saison hinweg weiter und weiter. In der Champions League war bereits nach der Gruppenphase Schluss. In der Liga mühte man sich von Punkt zu Punkt.

Am 20. Januar dieses Jahres dann der Schock: Das Sportgericht des FIGC hat wegen jahrelanger Bilanzfälschungen einen Abzug von 15 Punkten gegen Juve verhängt. Ex-Präsident Andrea Agnelli, Vereinslegende Pavel Nedved und Ex-Geschäftsführer Fabio Paratici wurden vorerst vom Fußballgeschäft gesperrt.

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Zudem wurde Juve von der Teilnahme an europäischen Wettbewerben ausgeschlossen und der Klub musste eine Strafe von satten 20 Millionen Euro zahlen. Ein neuer Tiefpunkt für die Bianconeri. Vielleicht hatten die beiden älteren Herren vor mir im Stadion Recht.

Juve beendete die zurückliegende Saison zwar trotzdem immerhin noch auf Rang sieben. Doch das Geschäftsjahr 2022/23 schloss man mit Verlusten von 123,2 Millionen Euro ab. Die Hoffnungen der Fans lagen auf der Sommerpause. Genug Zeit, um endlich ein wenig Ruhe in die turinischen Turbulenzen zu bringen.

Aufwind trotz Störgeräuschen

Doch es hat nicht lange gedauert, bis das nächste Störgeräusch für Unruhe sorgte. Mittelfeld-Star Paul Pogba wurde zu Beginn dieser Saison bei einer Probe positiv auf Testosteron getestet und am 11. September vorläufig gesperrt. Auch die von ihm beantragte B-Probe war positiv. Mit einer Dauer von vier Jahren Sperre forderte die Staatsanwaltschaft jüngst die Höchststrafe bei einem Doping-Vergehen. Im bevorstehenden Januar wird ein Urteil gefällt.

Kurz nach der Hiobsbotschaft um Pogba wurde bekannt, dass Youngster Nicolo Fagioli bei illegalen Sportwetten auf Online-Plattformen mehr als eine Million Euro verzockt hat. Der 22-jährige Nationalspieler Italiens wurde nach einer Vereinbarung mit den Anklägern des Sportgerichts für immerhin "nur" sieben Monate gesperrt. Juve scheint die Skandale aus irgendeinem Grund magisch anzuziehen.

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Und obwohl es auch in dieser laufenden Saison wieder einmal denkbar chaotisch zugeht: Auf dem Rasen sind die Bianconeri unverhofft stabil unterwegs. Nach 17 Partien steht Juve auf Rang zwei der Serie A. Zwölf Siege, vier Unentschieden und nur eine einzige Niederlage stehen zu Buche.

Auf den Tabellendritten, die AC aus Mailand, hat man sieben Punkte Vorsprung. Insgesamt kassierte Turin gerade einmal elf Gegentreffer, zweitbester Wert der Liga. Die Gründe für den plötzlichen Aufwind der alten Dame sind vielseitig.

Das "neue" Juventus

Der jahrelange Umbruch, einhergehend mit einer radikalen Verjüngung des Kaders scheint abgeschlossen. Das flache 3-5-2-System von Trainer Massimiliano Allegri fruchtet endlich (wieder). Juve ist mit der Achse Federico Gatti, Bremer und Danilo in der Dreierkette nur unheimlich schwer zu knacken.

Manuel Locatelli, Adrien Rabiot und Weston McKennie versorgen die Offensiv-Reihe aus dem Zentrum heraus verlässlich mit cleveren Steckpässen. Vorne sorgen Filip Kostic, Federico Chiesa, Dusan Vlahovic und Arkadiusz Milik effizient für Torerfolge.

Genau dafür steht das "neue" Juventus: Effizienz und Pragmatismus. Acht der zwölf Saisonsiege wurden mit gerade einmal einem Tor Unterschied gewonnen. Turin reicht oft ein einziger Moment aus, um ein Spiel zu entscheiden. Italienischer Calcio eben, nahezu perfekt.

Mit Eigengewächs Fabio Miretti (20) im Mittelfeld und dem in Deutschland geborenen Kenan Yildiz (18) hat man neben reichlich Erfahrung zwei hochspannende Personalien in den eigenen Reihen. Letzterer traf jüngst beim Länderspiel gegen Deutschland traumhaft für die Türkei und auch in der Serie A bei seinem Startelfdebüt.

Der Shootingstar durchlief von 2012 an die Jugendakademie des FC Bayern, ehe 2022 Post aus Turin kam und Juve den hochbegabten Yildiz abwerben konnte. Mittlerweile kommt der 18-Jährige bereits regelmäßig zu Einsätzen bei den Profis. Ein Youngster, den man zweifellos im Auge behalten sollte.

Juve hat wieder eine Perspektive

Und so kann nach 17 zumeist erfolgreichen Partien in dieser Spielzeit getrost ausgesprochen werden, dass es bei Juve endlich wieder läuft. Zwar sind die Bianconeri noch weit entfernt von der Liga-Dominanz der Meisterjahre 2012 bis 2019, doch viel wichtiger vielleicht noch: Turin hat eine neue Identität gewonnen.

Die alte Dame lässt sich nicht von Störgeräuschen, so laut sie auch sein mögen, aus dem Konzept bringen. Die Fans dürfen sich an einem verheißungsvollen Kader erfreuen. Am Samstagabend (30.12.) empfängt man nun die AS aus Rom. Mit einem Sieg würde man die neugewonnene Souveränität unterstreichen.

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So oder so dürften kurz vor Jahreswechsel einmal mehr Scharen an Menschen stadtauswärts Richtung Juventus Stadium fahren. So wie auch ich vor über einem Jahr im Bus saß und kurz vor Anpfiff die untergehende piemontesische Sonne hinter den Bergmassiven sah. Als Juventus noch in einer Krise steckte und ältere Herren über Verein, Verantwortliche und Spieler schimpften.

Doch heute ist vieles anders. Heute dürfte niemand über die stolze, erfolgsverwöhnte alte Dame schimpfen. Heute haben die Bianconeri endlich wieder eine Perspektive.

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